Variantenmanagement – eine Herausforderung für die Betriebsführung in der Oberflächentechnik

Der Begriff Variantenmanagement ist in aller Munde. Ob Maschinenbauer oder Automobilindustrie: Überall geht es darum, die immer größere Zahl an Produktvarianten zu verwalten. Wie wirkt sich dies auf die Oberflächentechnik-Branche aus? Benötigen Galvaniken, Eloxalwerke, Lackierereien oder Pulverbeschichter künftig ERP-Software mit integriertem Variantenmanagement?
Erschienen in WoMAG 10/2014

Zwischen einem Maschinenbauer und einem Lohnbeschichter gibt es einen grundlegenden Unterschied: Das Produkt des Maschinenbauers ist die Maschine oder Anlage; seine Aufgabe ist es, die Vielfalt der individuell angepassten Varianten zu seinem Produkt mit Blick auf Kundenzufriedenheit, Kosten und Marktstrategie zu optimieren. Ein Lohnbeschichter dagegen hat kein fertiges Produkt; sein Produkt ist die Oberfläche. Alle Artikel, die mit einer bestimmten Oberfläche beschichtet werden, sind Varianten dieser Oberfläche.

Zunahme an Beschichtungsverfahren

Innovationspreise wie der im Juni zur O&S vergebene Stuttgarter Oberflächentechnik-Preis „Die Oberfläche 2014“ belegen, dass die Anzahl an Beschichtungsverfahren aufgrund innovativer Technologien und neuer Anforderungen kontinuierlich wächst. Neben einer inzwischen beachtlichen Breite an Standard-Beschichtungen müssen auch Sonderbeschichtungen, Vor- und Nachbehandlungen oder Duplexverfahren in der Betriebsführung neu berücksichtigt werden. In Kombination mit der zu beschichtenden Rohware ergibt sich für den Oberflächenveredler so eine Vielzahl an Variationsmöglichkeiten, die er in Auftragsabwicklung und Fertigungsplanung ohne entsprechende IT-Unterstützung nicht mehr bewältigen kann.

Es überrascht deshalb nicht, dass Lohnveredler bei der Wahl einer neuen ERP-Lösung besonderes Augenmerk auf das Management der Verfahrensvielfalt legen. Anbieter von ERP-Lösungen müssen nachweisen, wie ihre Software Verfahren verwaltet, ob Verfahren kombiniert und auch einzeln als Verfahrensschritte kalkuliert werden können. Denn Lohnveredler wissen: Sind ihre Verfahren kostenseits und organisatorisch optimal abgebildet, haben sie einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung effiziente Fertigung getan.

ERP-Software für Oberflächentechnik mit neuem Ansatz

Der speziell auf Oberflächenveredelung ausgerichtete Anbieter von ERP-Software Softec AG hat für die lohnbeschichtungsgerechte Variantenverwaltung einen besonderen Ansatz gewählt. In ihrer ERP-Lösung OMNITEC sind Verfahren zentral im Technologiemanagement der Software verankert und eng mit Anlagen, Artikeln und Normen vernetzt. Der Oberflächenveredler legt im Technologiemanagement Master-Verfahren an, die definieren,  aus welchen Teilschritten ein Verfahren besteht, an welchen Fertigungsstellen – Trommelanlage, Gestellanlage, Automatik-Kabine, Hand-Kabine  – es bedient und zu welchen Konditionen es angeboten werden kann.

Umgekehrt kann der Anwender seinen Einstieg auch über die vorhandenen Anlagen wählen: Welche Anlagen gibt es im Unternehmen? Welche Verfahrensschritte können an dieser Anlage ausgeführt werden? Im Beispiel (Abb. 1) wird ein Zink-Trommel-Automat vorgestellt, an dem sechzehn verschiedene Verfahrensschritte durchgeführt werden. 

Die Software weist jedem Verfahrensschritt eine eigene Fertigungsstelle zu. Hier werden Produktionsvorgaben wie Rüstzeiten, kg pro Trommel, Kostenvorgaben nach Voll- oder Grenzkosten, Arbeitsanweisungen etc. für jeden Verfahrensschritt abgebildet. Auch technische Parameter – Ströme, Expositionszeiten, Temperaturen, Programmnummern – sind hinterlegt. Diese können nun jederzeit zur Planung und Kalkulation herangezogen werden. Auch alternative Fertigungsstellen sind vermerkt, so dass im Engpassfall der Wechsel auf eine andere Fertigungsstelle schnell gelingt und in der Gesamtplanung berücksichtigt ist.

Ein Artikel wird zur Beschichtung angeliefert. Im ERP-System wird der Artikel angelegt und mit dem Verfahren, das zur Bearbeitung der Oberfläche anzuwenden ist, verknüpft. So ist im Beispiel im Artikel „Blech“ das Verfahren „Zink Nickel transparent passiviert“ mit allen Teilschritten vermerkt (Abb. 2). Aus der Kombination von Artikel und Verfahren werden nun die für die Auftragsabwicklung notwendigen Varianteninformationen abgeleitet.

Die ERP-Software berechnet im nächsten Schritt die Vorgaben, die für die Fertigung erforderlich sind. Über einen integrierten Flächenrechner werden aus den Bemaßungen des Werkstücks automatisch Oberfläche, Volumen und Gewicht sowie das spezifische Gewicht der Beschichtung ermittelt und darauf basierend definiert, in wie viele Leistungseinheiten – Trommeln, Gestelle, Warenträger – die bestellte Menge unterteilt werden muss und welche Kosten für einen Artikel beispielsweise pro Kilogramm entstehen. 

Auch Fremdleistungen können orts- und anlagenunabhängig im Programm abgebildet werden. Alle Verfahren – eigene wie fremde – die ein Unternehmen anbietet, sind als Technologiecode hinterlegt und als solche mit Normen und Artikeln in Beziehung gesetzt.

Normgerechte Verfahren

Die Verknüpfung von Normvorgaben und Verfahren ist ein weiteres Anforderungskriterium, das Lohnbeschichter an eine ERP-Software stellen. Welche Verfahren können angewendet werden, um eine konkrete Norm zu erfüllen? An welche Anlage kann im Störungsfall gewechselt werden, ohne Norm- oder Qualitätsvorgaben zu verletzen? Dieses Wissen darf gerade bei komplexen Veredelungsvorgängen nicht in den Köpfen einzelner gespeichert, sondern muss transparent in einem ERP-System hinterlegt sein (Abb.3)

Das Variantenmanagement für die Oberflächentechnik ist daher mit dem Variantenmanagement anderer Wirtschaftszweige nicht direkt vergleichbar. Darauf müssen ERP-Anbieter eingehen – mit Lösungen, die Unternehmen in ihrer Betriebsführung so unterstützen, dass trotz hoher Varianz an Verfahren und Rohware die Auftragsabwicklung schnell, sicher, kosteneffizient und zu den Qualitätsstandards ablaufen kann, die für ein erfolgreiches Wirtschaften erforderlich sind.