Vernetzte Zukunft: Schritt für Schritt vorbereiten auf Industrie 4.0

Industrie 4.0 heißt: Automatisieren. Digitalisieren. Vernetzen. Über eine bessere Vernetzung von Unternehmen wird sichergestellt, dass Daten gebündelt und für Auswertungen und Planungen genutzt werden können. Moderne ERP-Systeme können dabei eine Hilfe sein.
Fachartikel mo Magazin für Oberflächentechnik 4/2017

Softec Grafik Vernetzungsmöglichkeiten eines Oberflächenveredlers im Auftragsablauf

Wer die große Vision „Industrie 4.0“ auf konkrete Umsetzungsvorhaben herunterbricht, wird sehr schnell auf ein bestimmtes Thema stoßen: Vernetzung. Dieser praxisorientierte Zugang zum Thema kommt Oberflächenveredlern
entgegen, denn der Ausbau der Gesamtvernetzung eines Unternehmens
kann schrittweise in Angriff genommen werden. Die Aufgabe wird so finanziell kalkulierbarer und vom Aufwand her leichter zu bewältigen.

In einem ersten Schritt gilt es, im eigenen Betrieb zu evaluieren, in welchen Teilprozessen ein Ausbau von Vernetzung den größten Mehrwert generiert. Dabei sollten die Ansatzpunkte gewählt werden, von denen Kunden und das Unternehmen selbst bereits heute profitieren. Die entscheidende Frage ist, wo das eigene Unternehmen zuerst „smart“ werden soll.

Vernetzungsmöglichkeiten

In der oberen Grafik ist der Auftragsdurchlauf eines oberflächenveredelnden Unternehmens dargestellt. Sowohl intern als auch im Rahmen der Lieferkette bieten sich ganz unterschiedliche Ansatzpunkte, um Vernetzung und automatisierten Datentransfer zu intensivieren. Im Zentrum des Datenmanagements steht das ERP-System. Es ist als führende Unternehmenssoftware der Knoten, an dem die für den Auftragsdurchlauf
relevanten Daten zusammengeführt werden. Denn die einzelnen Produktionsschritte sind, sozusagen als digitaler Zwilling, auch im ERP-System abgebildet.

Bei entsprechender Vernetzung entsteht im ERP-System ein Datenmodell, das die
originären kaufmännischen Abläufe mit den konkreten produktionstechnischen Abläufen eines lohnbeschichtenden Unternehmens zusammenführt. Es ist deshalb von zentraler Bedeutung, dass bei einer geplanten Anbindung weiterer Systeme Schnittstellen bidirektional entwickelt werden. Dies bedeutet, dass der
Datentransfer in beide Richtungen stattfindet und Daten dadurch im ERP-System
zusammengeführt und die Informationen verdichtet werden können. So übermittelt das ERP-System bei einer Anlagenkopplung beispielsweise die Auftragsdaten an die Anlage und erhält im Gegenzug Betriebsdaten und tatsächliche Ressourcenverbräuche zurück. Diese stehen dort für eine Planungsoptimierung und zu Auswertungszwecken zur Verfügung.

Blickpunkt Qualitätsmanagement

Grundvoraussetzung für eine umfassend vernetzte Produktion ist, dass die eingesetzten Anlagen programmierbar und integrationsfähig sind. Dies ist heute in der Oberflächenveredelung nur bei einem Teil des Anlagenparks der Fall. Hier muss jedes Unternehmen für sich selbst entscheiden, in welcher Geschwindigkeit Altanlagen durch integrierbare, neue Modelle substituiert werden können. Zunehmend halten mobile Terminals in die Fertigungshallen Einzug. Dies ist sinnvoll, wenn Daten aus manuellen Bearbeitungsschritten, beispielsweise in der Montage oder der Verpackung, oder an nicht integrationsfähigen Anlagen in das
unternehmensweite Datenmanagement einfließen sollen. An mobilen Terminals können beispielsweise über einfaches Abscannen des Barcodes auf dem Warenbehälter oder dem Betriebsauftrag detaillierte Informationen erfasst und an das ERP-System übermittelt werden. So ist auch hier dokumentiert, welcher Mitarbeiter zu welcher Zeit bei welchem Auftrag welche Bearbeitungsschritte durchgeführt hat. Insgesamt ist die mobile Betriebsdatenerfassung ein Teilbereich der Vernetzung, der für Unternehmen meist bei vergleichbar niedrigen finanziellen Aufwand zu deutlichen Effizienzsteigerungen führt.

Neben Produktionsanlagen werden auch Messgeräte und Waagen direkt in die ERP-Systemumgebung integriert. So laufen im ERP-System alle qualitätssichernden
Informationen zusammen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn das ERP-System QM-Branchenanforderungen funktionell abdeckt und die Qualitätssicherung damit
integriert hat. In diesem Fall werden zusammen mit Artikelstammdaten und Produktionsdaten auch alle rückgemeldeten Qualitätsdaten wie Messdaten, den EMPBs, Korrosionsatteste, 8D-Reports und andere Prüfberichte, A-Teile oder Schichtdicken direkt bei den Artikeln abgelegt. Schwierig wird die  Informationszusammenführung, wenn das ERP-System über kein QM-Modul
verfügt und stattdessen ein CAQ-System angebunden wird. Hier findet die Informationsübermittlung in der Regel nur in eine Richtung, nämlich zum CAQ-System hin statt. Die Forderung nach einem einheitlichen, durchgängigen Datenverbund wird in diesem Modell erschwert.

Vernetzung in der Lieferkette

Oftmals fordern Industriekunden ihre Lohnveredeler selbst zum elektronischen
Datenaustausch EDI auf, da sie mit deutlichen Einsparpotenzialen rechnen und die
Durchgängigkeit ihrer Lieferkette stabilisieren möchten. Dabei ist EDI ein Win-Win-
Projekt: Auch für Oberflächenveredeler lohnt sich EDI bei Kunden, die ein gewisses
Auftragsvolumen mit sich bringen.

Folgendes Beispiel: Ein Pulverbeschichter wickelt den Auftragseingang von drei
Großkunden ausschließlich über EDI ab. Ohne EDI wäre für die manuelle Erfassung
in der Auftragsabwicklung bei jährlich 30.000 eingehenden Auftragspositionen mit
diesen Großkunden und einer durchschnittlichen Erfassungsdauer von zwei Minuten pro Auftragsposition ein Zeitbedarf von 500 Arbeitsstunden, das heißt, etwa 60 Arbeitstagen, erforderlich. Die Investition für eine EDI-Schnittstelle kann sich also schnell amortisieren. Neben Rentabilität führt EDI auch zu einer deutlichen Zeitersparnis. Über den automatisierten Datentransfer von der Bestellung über Auftragsbestätigung, Sonderfreigaben bis zu Lieferdaten und Rechnung sind die Prozesse der Auftragsabwicklung schnell, mit stark reduziertem Fehlerrisiko und transparent umgesetzt.

ERP als Bindeglied

Das ERP-System verbindet die externe Vernetzung mit der internen: Geht eine Bestellung elektronisch ein, löst das ERP-System weitere Geschäftsvorfälle aus: die Validierung der Daten, das Anlegen eines Auftrags im System oder beispielsweise die Überprüfung von Lagerbeständen. Nach der Einplanung des Auftrags gehen die Auftragsdaten über eine Anlagenkopplung an die bearbeitende Maschine. Liegt die Meldung vor, dass die Bearbeitung abgeschlossen wurde, wird die Übermittlung von Lieferdaten und -terminen an den Kunden initiiert, die per EDI im System des Kunden aufschlägt.

Viele Forderungen, die mit der Vorbereitung auf Industrie 4.0 verbunden werden,
das heißt, digital werden, Automatisierung vorantreiben und Vernetzung aufbauen,
führen alle in dieselbe Richtung. Es geht darum, die Durchgängigkeit der Prozesse in einem stabilen Industrienetzwerk sicherzustellen. Gleichzeitig kann der Weg zu einer Industrie 4.0-fähigen Lohnbeschichtung der Zukunft auf dieser Basis leichter begangen werden.